Wieder auf den Beinen

Marion Pauli kam nach Komplikationen durch eine Magenbypass-Operation Ende November 2017 im Rollstuhl in die Berner Klinik Montana. Dank der internistischen Rehabilitation und der einfühlsamen Art der gesamten Belegschaft hat sie ihre Unabhängigkeit wiedererlangt.

Crans-Montana. Die Sonne scheint. Es ist der 30. Januar 2018. Für Marion Pauli aus Biel steht um 10.30 Uhr die erste Therapie auf dem Programm. Ergotherapeutin Virginie Peter drückt einige Knöpfe auf dem Bildschirm des «E-Link», einem Computer mit verkabeltem Hand-Set. Dann beobachtet sie Marion Pauli bei den verschiedenen Übungen zur Verbesserung der Feinmotorik. Sie motiviert, gibt Tipps, rät aber auch mal zu einer kurzen Pause. Marion Pauli ist nach Komplikationen durch eine Magenbypass-Operation im Juni 2017 zur Rehabilitation in die Berner Klinik gekommen. Ende November, als sie von ihrem Vater im Rollstuhl in die Eingangshalle gefahren wurde, hatte sie bereits wochenlang nichts mehr gegessen und kaum noch etwas getrunken. Sie war am Ende ihrer Kräfte und konnte weder sprechen noch gehen. Zudem hatte sie hohen Blutdruck und klagte über Bauchschmerzen.

Wer sie heute sieht, kann sich den Zustand, in dem sich Marion Pauli noch vor zwei Monaten befand, kaum vorstellen. Die stämmige, humorvolle Frau hat ihre lebhaften Augen auf den Bildschirm gerichtet und versucht, mit dem Hand-Set möglichst viele Bälle zu treffen. Sie wirkt angespannt und konzentriert. Man merkt, sie will es gut machen. Die Übungen erfordern «Köpfchen», also Koordination und Präzision, und Kraft in den Händen. Wenn sie besonders viele Bälle erwischt, entsteht auf dem Bildschirm ein Feuerwerk. Marion Pauli und die Therapeutin sind zufrieden.

Schritt für Schritt zurück ins Leben

Als die zweifache Mutter in die Berner Klinik gekommen ist, konnte sie weder ihre Hände noch die Beine bewegen. Auch heute noch bereiten ihr das linke Bein und die linke Hüfte Probleme. Marion Pauli spricht von Gangunsicherheit und Gleichgewichtsstörungen. «Das Gleichgewicht brauche ich aber für meine Arbeit», erklärt sie. «Denn bei der Frühzustellung der Zeitungen für die BEVO bin ich auf mein Fahrrad angewiesen. Von Montag bis Samstag nehmen wir zwischen 04.00 und 04.15 Uhr die Zeitungen in Empfang, und um etwa 07.30 Uhr bin ich bereits durch mit meiner Runde.» Man merkt ihr die Mischung aus Stolz auf ihre Arbeit und Angst an, nicht mehr die volle Beherrschung über ihren Körper zu erlangen. Sie ist aufgewühlt. Während des Gesprächs schiessen ihr ab und zu Tränen in die Augen. Deshalb besucht sie während ihres Klinik-Aufenthalts eine Psychiaterin, die ihr dabei hilft, ihre Leidensgeschichte und die damit verbundenen Enttäuschungen zu verarbeiten. «Ohne die Berner Klinik ginge es mir heute nicht so gut, wie es mir jetzt geht», sagt sie. Man merkt ihr ihre Dankbarkeit an. «Nicht einmal mein Bruder hatte mich mehr erkannt», sagt Marion Pauli gerührt. «Er ist zum Bett meiner Zimmernachbarin gelaufen, bis ich ihn zu mir gerufen habe.» Wegen ihres starken Übergewichts und aus gesundheitlichen Gründen hatte sie sich damals für die Magenbypass-OP entschieden. «Heute würde ich das nicht mehr machen», sagt sie.

11.30 Uhr, Zeit für die Arztvisite. Der behandelnde Arzt, Med. pract. Peter Lermen, nimmt im Rollstuhl gegenüber von Marion Pauli Platz, die auf dem Bett sitzt, und fragt nach ihrem Befinden. Er wird von zwei Abteilungsärzten und einer Pflegerin mit Computer begleitet. Das Gespräch wirkt ungezwungen, zwischendurch wird gelacht. Die Blutwerte sind gut, dafür sind diejenigen der Niere etwas schlechter. Der Arzt ordnet weitere Physiotherapien für Zuhause an und erkundigt sich, ob sie den neuen Ernährungsplan schon erhalten habe. Marion Pauli soll auch nach ihrer Rückkehr weiter Krafttraining machen und das Gewicht noch etwas reduzieren, obwohl sie bereits fünfzig Kilo leichter ist. Er informiert sie über die Kostengutsprache durch die Krankenkasse für eine weitere Woche, was die Bielerin sichtlich freut. Der Arzt lobt sie dafür, wie gut sie bei den Therapiemassnahmen mitmacht und für ihre positive Einstellung, die ebenfalls viel zu einem erfolgreichen Genesungsprozess beiträgt. «Die Arztvisite hier ist menschlich und persönlich», sagt Marion Pauli. «Ich werde ernst genommen, und es wird auf mich eingegangen. Das schätze ich sehr.»

Offenes Ohr. Marion Pauli bei der Arztvisite mit Med. pract. Peter Lermen.

Geduldsprobe und Gleichgewichtsübungen

Es ist 14.00 Uhr nachmittags. Marion Paulis Hände sind in einem Becken mit feinen Linsen vergraben. Die Ergotherapeutin Virginie Peter erklärt, dass dies die Sensibilität und Wahrnehmung in den Fingern steigere. Danach ertastet Marion Pauli Rillen auf kleinen Kartonquadraten, die sie nicht sehen kann, da sie unter einem Holzgestell mit Vorhang verborgen sind. Am Gesicht von Marion Pauli zu urteilen, scheint es nicht einfach zu sein, die genaue Anzahl zu erspüren. Aber die Anstrengungen der letzten Wochen haben sich gelohnt – auch bei diesen Übungen zur Verbesserung der Feinmotorik macht sie stetig Fortschritte. Die Therapeutin ermuntert sie zu einer weiteren Übung, bevor die halbe Stunde abgelaufen ist.

Nach einer kurzen Pause geht es um 15.00 Uhr weiter mit Physiotherapie. Die Sonne scheint ins Zimmer und Véronique Lugon-Moulin empfängt Marion Pauli mit einem freundlichen Lächeln. Nach einfachen Übungen zum Treppensteigen und zur Förderung des Gleichgewichts, wird es schwieriger: Marion Pauli steht auf einem weichen Kissen und soll die Augen schliessen. Sie schwankt leicht. Danach geht sie in die Knie und richtet sich wieder auf. «Schön langsam und nicht so fest wackeln», mahnt die Therapeutin, die dicht neben ihr steht. Auch absitzen und aufstehen sowie auf die Knie gehen und wieder aufstehen, will gelernt sein. «Das war jetzt besser», lobt die Therapeutin. Dann wird es noch etwas anspruchsvoller: Marion Pauli muss sich auf einer weichen Unterlage um die eigene Achse drehen und dazu einen Ball von einer Hand in die andere werfen. Es wird ihr schwindlig, sie muss sich kurz setzen. Danach hebt sie ein Kissen vom Boden auf, geht damit durch den Raum und legt es wieder ab. Es geht äusserst langsam vorwärts und sie witzelt, dass sie so ihren Haushalt nie werde in einem Tag erledigen können. Marion Pauli versucht, ihrer ernsten Situation immer wieder mit Spässen zu trotzen und scherzt mit den Pflegerinnen, Therapeutinnen und Ärzten ebenso wie mit anderen Patienten. Dann werden sie und Véronique Lugon-Moulin wieder ernst. Denn solche Übungen sind zentral, damit Marion Pauli in ihrem Alltag wieder funktionieren kann. «Ziel der Rehabilitation war anfangs der Kraftaufbau. Jetzt geht es vor allem um das Gleichgewicht.», erklärt die Physiotherapeutin. «Sie haben super Fortschritte gemacht, finden Sie nicht?», fragt sie ihre Patientin aufmunternd. Nach einer Weile antwortet Marion Pauli lachend: «Ja, dank Ihnen!»

Volle Konzentration. «E-Link»-Übungen fördern die Feinmotorik in Fingern und Händen.

Leben in den Beinen

Marion Pauli findet, dass ihr die unterschiedlichen Therapien wie Physio, Ergo, E-Link, Gelenkbad und Gehgruppe enorm bei der Genesung geholfen haben. Am meisten schätzte sie jedoch den «Vector», ein Therapiegerät mit Deckenbefestigung und Gurtensystem, dank dem sie zu Beginn ihres Aufenthaltes wieder gehen lernte. Sie fühlte sich sicher und konnte dank der Gewichtsentlastung ihre Muskeln langsam wiederaufbauen. Sie habe auch Probleme mit Wasser in den Beinen. Deshalb würden ihr die Pflegerinnen jeden Morgen Verbände anlegen und sie abends wieder entfernen. Zudem litt Marion Pauli unter konstanten Schmerzen, die wohl von einem Sturz und einer Nahtblutung nach der Magenbypass-OP herrührten. «Jetzt fangen meine Beine wieder an zu leben», sagt sie und strahlt. An der Berner Klinik schätzt sie neben der Menschlichkeit des gesamten Teams, dass alles so nahe beieinanderliegt. Sogar die Ernährungsberaterin befindet sich im Haus.

«Ich bin nur dank der ganzheitlichen Rehabilitation so weit, wie ich jetzt bin», sagt sie zum Abschied. «Zudem scheint hier oft die Sonne. Das trägt viel zur Psyche bei.» Marion Paulis Gesicht hellt sich auf. Ihr Optimismus gewinnt einmal mehr die Oberhand. Man kann nicht anders, als ihr für die Rückkehr nach Hause und den weiteren Genesungsweg nur das Beste zu wünschen.